Vier Epochen im Schnelldurchlauf
Meryem Akdenizli schüttelt ein paar Hände und signiert ihre Cds. Einnehmend lächelnd setzt sie sich nach der Pause wieder an den Flügel und führt ihre Zuhörer mit sicherer Hand durch Ravels virtuoses „Gaspard de la Nuit Ondine“, wo unbändige Wasser an Felsen zerschellen und der Duft der Brandung unglaublich blau ist. Außerdem fällt das warme Licht der Abendsonne auf einen Gehängten, und ein finsterer Kobold zieht des nachts los, um die Schlafenden zu stören. In den drei Sätzen zürnt und wütet die Malkraft des Impressionismus. „Gaspard de la Nuit Ondine“ ist nicht nur eine fabelhafte Übersetzung der Kurzprosa-Dichtung von Aloysius Bertrand in die Welt der Musik, es ist eines von Ravels beeindruckendsten Werken. Alles von seiner düsteren, leidenschaftlichen Kraft trägt es bis in die letzte Note hinein; sie verklingt in kaltem Nachrauschen, bevor das Pedal in die Trittposition zurückfedert und der Applaus losbricht. Der deutsch-türkischen Interpretin liegt der Impressionismus und obendrein steht er ihr vorzüglich, denn offenbar sprudelt ein Tempraments-Geysir in ihr. Nomen est Omen – Akdenizli heißt zu Deutsch „vom Mittelmeer“. Vor allem Ravels erster Satz über die Wassernixe Ondine passt also in vielerlei Hinsicht großartig ins Talent- und Konzerttepertoire des studierten Quirls.
Offensiv und ausgesprochen charmant schlägt Akdenizli anhand von Beispielen und Anekdoten den Bogen von einer Epoche zur nächsten: Angefangen bei Bach und Haydn über Chopin zu Ravel. Von der ersten Minute an hat sie Herz und Respekt des Publikums, das ihre Interpreation der Haydn-Sonate Es-Dur Hob. 16 sogar mit Bravo-Rufen adelt. Akdenizli versteht sich definitiv nicht nur aufs Klavierspielen.
Sie schließt mit Liszt, dessen „Rhapsodie espagnole“ ihren 80 epochalen Minuten durch die Musikgeschichte ein würdiges, und ja, romantisches Finale beschert. Die angeforderte Zugabe schüttelt sie gelassen aus dem Handgelenk: Debussys „Mädchen mit den flachsblonden Haaren“. Wie gesagt, der Impressionismus liegt ihr.