Gesprächskonzerte


Gesprächskonzert Reihe
„In 80 Minuten durch die Musikepochen“

Ein Hörgenuss, der Freude an klassischer Musik weckt. Mit Werken von J. S. Bach, J. Haydn, F. Chopin, F. Liszt, M. Ravel und G. Ligeti.


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Interview: ‚Sie spricht Musik‘

Die junge Pianisten Meryem Natalie Akdenizli spielt seit ihrem vierten Lebensjahr Klavier und erhielt mit 13 ihre erste Auszeichnung beim nationalen Wettbewerb „Jugend musiziert“. Die 1980 in Stuttgart geborene Pianistin bekommt zurzeit Unterricht in der Meisterklasse von Prof. Matti Raekallio an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover.

mikSes: Auf welcher Bühne würden Sie gerne spielen?
M. N. Akdenizli: Darüber habe ich gar nicht nachgedacht… In der Berliner Philharmonie…Carnegie Hall in New York, das ist eines der schönsten Konzertsäle auf der Welt!

Pianistin am Konzert Grand Piano Meryem Natalie Akdenizli - Klavier

mikSes: Sind sie vor Auftritten noch nervös?
M. N. Akdenizli: Ja, immer. Ich versuche jedes Mal besser zu werden. Kann man vor seinem eigenen Urteil bestehen?! Man spielt die ganze Zeit in den eigenen vier Wänden, dann will man es mit der
ganzen Welt teilen und auch was dafür zurückbekommen.

mikSes: Applaus?
M. N. Akdenizli: Nein. Man bekommt schon während des Spiels etwas zurück. Etwas ganz Starkes. Das habe ich gemerkt, als ich einmal nichts zurückbekam… Wir Musiker spüren das Publikum so stark, wenn wir auf der Bühne stehen. Spiele ich eine leise Stelle oder eine besondere Stelle, die nicht erwartet wird, hält das Publikum den Atem an. Das oder
Ähnliches gibt dir etwas. Es ist wie in einem Gespräch: hört dir dein Gegenüber zu oder ist ihm alles egal. Natürlich auch der Applaus. Am schönsten ist es, wenn ich spiele, man merkt, das Publikum ist
ergriffen ist, es leidet mit mir oder es ist einfach dabei.

Pianistin am Konzertflügel im Konzertsaal

mikSes: Was bedeutet Ihnen Musik?
M. N. Akdenizli: Musik ist für mich ein Lebensgefühl Man hat sie immer in sich. Man darf Musik auf keinen Fall als einen Beruf verstehen! Sie ist etwas, was man von Geburt an in sich hat und sie hört erst dann auf, wenn man stirbt. Ich trage die Musik immer mit mir. Wenn ich auf der
Straße rumlaufe oder irgendwo bin. Einfach allgegenwärtig! Sie ist auch eine Art von Sprache, die fähig ist alle Gefühle auszudrücken, die ich nicht in Worte fassen kann. Wenn ich zum Beispiel ein Konzert gebe, dann versuche ich dem Publikum meine Gefühle zu senden. Das
Publikum soll genau das empfangen, was die Musik in dem Moment aussagt. Ich versuche die Zuhörer mit meiner Sprache in eine andere Welt zu führen.

Konzert-Pianistin am KlaviermikSes: Sie haben sehr früh mit dem Klavierspiel angefangen. Das Elternhaus hat Sie bestimmt geprägt. Könnten Sie sich vorstellen heute etwas anderes zu machen?
M. N. Akdenizli: Also, für meine Mutter war es immer sehr wichtig, dass ihre Kinder sehr früh mit der musikalischen oder sportlichen Bildung beginnen. Sie hat meinen älteren Bruder und mich ganz früh auf eine Musikschule für Kinder geschickt. Da kamen wir das erste Mal mit
allen Instrumenten in Berührung. Ich hatte mich schon sehr früh entschieden. Mit vier wusste ich, dass ich Klavier spielen will. Das war ganz klar für mich. Aber, dass ich mal Pianistin werde, daran hatte
ich nicht gedacht. Irgendetwas hatte ich im Hinterkopf. So etwas wie, dass ich nicht einfach nur so Klavier spielen wollte, sondern so richtig! Ich wollte es richtig können. Ich wollte nicht nur Für Elise spielen können. Ich wollte alles können. Meine Eltern dachten erst, das sei nur ein Hirngespinst. Ich habe auch gern gesungen und eine klassische Gesangsausbildung. Aber ich wusste immer, dass das Klavier mein Ding ist. Das Klavier ist wie alle Instrumente in einem.

mikSes: Dann haben Sie ein Klavier bekommen und angefangen zu spielen.
M. N. Akdenizli: Ja. Ich hatte wahnsinniges Glück, weil ich damals einen ganz jungen Lehrer hatte. Er war gerade fertig mit dem Studium und unheimlich gut. Er gehörte zu den besten Lehrern, die es an
den Musikschulen in Deutschland gab. Ich war eine seiner ersten Schülerinnen. Zweimal in der Woche hatte ich Unterricht bei ihm und er hatte sofort erkannt, dass ich eine Begabung habe.

Klassische Konzertpianistin Meryem Natalie Akdenizli am KlaviermikSes: Wie erkennt man eine Begabung?
M. N. Akdenizli: Meine Mutter sagt immer, dass es ihr sofort auffiel, als ich gerade mal elf Monate alt war. Ich hätte damals schon gesungen und geklatscht. Ich kann mich erinnern, dass ich schon im Kindergarten auf der Bühne stehen wollte. Man merkt es sofort, wenn Kinder musikalisch begabt sind. Sie haben einen Drang dazu zu singen, Musik zu machen, auf der Bühne zu stehen.

mikSes: Sie sind diesem Drang nachgegangen, aber gab es auch ein Vorbild?
M. N. Akdenizli: Nein. Das wusste ich alles gar nicht. So viel Berührung mit Klassischer Musik hatte ich nicht, dass mich zum damaligen Zeitpunkt irgendein berühmter Pianist hätte faszinieren können.

Pianistin Meryem Natalie Akdenizli am Klavier

mikSes: Welche Art von Auftritten gefallen Ihnen mehr? Treten Sie lieber alleine auf?

M. N. Akdenizli: Also am liebsten sind mir die Auftritte als Solist mit Orchester.Es ist wunderschön mit so vielen Musikern zu interagieren, man ist nicht ganz alleine. Dabei entsteht eine Art Massenglücksgefühl. So ähnlich wie im Fußballstadion, wenn die Menschenmenge zusammen ein Lied singt. Wenn alle zusammen das Gleiche machen, entsteht
ein unbeschreibliches Hochgefühl. Aber trotzdem ist man ja man selbst und seine eigene Stimme. Man ist nicht nur ein kleiner Teil vom Ganzen. Das ist eines der besten Gefühle. Es ist ganz wichtig als Musiker die Vielfalt zu erleben. Man kann nicht sagen, „ich gebe von nun an
nur noch Solokonzerte“, weil das ganz einfach zu einseitig wäre. Es ist auch ganz wichtig mit anderen Musikern zusammen zu spielen. Das gibt dir nämlich wieder Impulse für deine Solokonzerte.

mikSes: Impulse sind natürlich sehr wichtig für einen Musiker. Nun ist Ihre Mutter Deutsche und Ihr Vater Türke. Hat Ihnen die deutsch-türkische Kultur Impulse gegeben?
M. N. Akdenizli: Ich glaube, man hat das schon früh gemerkt, dass ich von der deutsch-türkischen Kultur beeinflusst worden bin. Ich versuchte als Kind Stücke zu komponieren, die nicht sehr europäisch klangen. Man merkt es auch meinem Spiel an. Ich spiele anders als deutsche Musiker. Man merkt ganz einfach, dass ich viel Liebe und Freude am Musizieren hab’ und das trage ich auch nach Außen. Diese nach Außen zu zeigen,
ist etwas, was der südländischen Kultur einfach mehr liegt.

mikSes: Ist das ein Vorteil?
M. N. Akdenizli: Es ist eine besondere Art von Ausdruckskraft. Intuitiver! Manche deutsche Musiker sind etwas verhaltener. Sie wollen ihre Gefühle nicht so weit nach außen tragen.

Klassische Konzertpianistin Meryem Natalie Akdenizli am KlaviermikSes: Spielen Sie auch Stücke von türkischen Komponisten?
M. N. Akdenizli: Ja, zum Beispiel von llhan Baran. Seine Kompositionen ähneln vielmehr türkischen Volksliedern, die klassisch interpretiert werden. Gerade in letzter Zeit gibt es in Istanbul sehr viele zeitgenössische Komponisten, die ich sehr gut finde.

mikSes: Auch Fazıl Say gehört zu diesen Komponisten. Say bezeichnet sich als „Vermittler zwischen den Kulturen“ und bezeichnet dies als seine Mission. Wie istdas bei Ihnen?
M. N. Akdenizli: Hmm… als Vermittler. Nun er kommt ja aus der Türkei und hat mit Deutschland nicht viel zu tun.

mikSes: Aber er hat hier studiert und kennt die Menschen hier sehr gut.
M. N. Akdenizli: Dennoch ist das bei mir etwas anders. Ich bin schließlich mit beiden Kulturen aufgewachsen, mit der deutschen sowie der türkischen. Bei mir spielen beide eine wichtige Rolle.

mikSes: Glauben Sie, dass Sie dadurch diese Brückenfunktion besser übernehmen könnten als er?
M. N. Akdenizli: Ja, das denke ich schon, ich habe beides schon in mir. Aber Musik ist auch eine Sprache, die jede Kultur versteht. Wenn mir ein afrikanischer Musiker ein Stück vorspielt, dann versteh’ ich ihn sofort. Musik ist eine Sprache, die überall in allen Kulturen verstanden
wird. Ich könnte nicht sagen, Say ist kein Vermittler.

mikSes: Diese Vermittlerfunktion zu übernehmen, ist das so wichtig, wenn man Musik macht? Ist das die Aufgabe der Musik?
M. N. Akdenizli: Auf jeden Fall! Musik ist Kulturgut und ich denke, dass
Musik Sachen sagen kann, Menschen treffen kann, wie es Worte nicht können. Wenn ich beispielsweise Konzerte in der Türkei gebe, dann kommt das Publikum, setzt sich hin und öffnet sich. Wenn ich
dann deutsche Komponisten spiele, gebe ich ihnen was von dieser Kultur und das nehmen sie auf. Was kann besser vermitteln als Musik?! Das, was du ihnen in dem Moment gibst, geht unbewusst in die Tiefe. Mit Worten kann man es nicht beschreiben. Also ist Musik einer der besten
Wege um zwischen den Kulturen zu vermitteln.

Klassische Konzertpianistin Meryem Natalie Akdenizli am KlaviermikSes: Sie geben immer wieder Gesprächskonzerte an Schulen. Welche Erfahrungen haben Sie mit den Schülern gemacht. Wie reagieren sie auf Klassische Musik?
M. N. Akdenizli: Ohne allzu theoretisch zu werden, erkläre ich den Schülern, was ich für sie spiele. Gerade bei den Jüngeren sagt man ja immer, dass sie sich für Klassische Musik nicht interessieren. Aber durch diese Gesprächskonzerte habe ich gesehen und ich war sehr erstaunt, wie offen die jungen Leute sind. Vor allem wenn man selbst dann noch jung ist, weil auch ich eine aus ihrer Generation bin, identifizieren sie sich gleich mit mir. Menschen für Klassische Musik zu begeistern, die eh begeistert sind, ist nicht so reizvoll. Es ist viel schöner, wenn
Menschen aus dem Konzert rausgehen und sagen, dass das doch ganz toll war!

mikSes: Glauben Sie denn, dass Sie für junge Menschen eine Vorbildfunktion erfüllen?
M. N. Akdenizli: Ich würde nicht behaupten, dass ich so populär bin, dass jeder wegen mir Klassische Musik super findet. Aber gerade bei den Gesprächskonzerten habe ich bemerkt, dass Klassik für die Jugendlichen etwas Totes oder Verstaubtes ist. Wenn sie jemand junges wie mich dann sehen, die dann auch nicht so abgespacet ist, in höheren Bahnen
schwebt, sondern ganz normal ist wie sie und sich für diese Sache begeistert, dann kommt man besser an sie heran. Dieses verstaubte Image der Klassischen Musik muss weg. Es sollten mehr Kooperationen
zwischen Hochschulen und Schulen geben. Wenn Studierende, die selbst noch jung und begeistert sind in Schulen auftreten, erreichen sie gleich das Publikum von morgen.

mikSes: Kamen auch alle Schüler zu den Gesprächskonzerten?
M. N. Akdenizli: Wir hatten schon Angst, dass die Schüler nicht interessiert sein würden. Vielleicht gehen sie dann lieber ins Kino oder machen was anderes. Ich hatte die Idee in der 5-Minuten-Pause
etwas zu spielen um sie auf den Geschmack zu bringen. Abends waren alle freiwillig da!

mikSes: Welche Musik hören Sie privat?
M. N.Akdenizli: Natürlich Klassische!

mikSes: Natürlich. Aber was noch? Schauen Sie sich Musiksender wie MTV an?
M. N. Akdenizli: Schon, aber für mich ist Pop-Musik keine richtige Musik. Ist vielleicht ganz nett zum Entspannen. So wie ein Krimi, den man statt Goethe liest. Pop-Musik ist Unterhaltung. Klassische Musik dagegen ist keine Unterhaltung. Man muss sich nicht unbedingt öffnen, wenn man Pop-Musik hört. Die kann man auch nebenbei hören. Wenn man Klassische Musik hört, dann sollte man versuchen sich darauf zu konzentrieren und die Stücke zu verstehen und sich zu sensibilisieren. Pop-Musik ist für mich eher ein Nebengeräusch.

mikSes: Würde es für Sie in Frage kommen Klassik und Pop zu verbinden? Zum Beispiel um mehr Zuhörer zu erreichen so wie Vanessa Mae.
M. N. Akdenizli: Ja gut, Erfolg hat man damit. Aber ist es auch der richtige Weg? Für mich nicht. Über Pop-Musik denkt man nicht viel nach. Es ist nichts tief Greifendes. Klassische Musik ist genau das Gegenteil. Man macht sich Gedanken über jede Note. Mit Klassik erreicht
man Zuhörer viel tiefer. In jedem Stück steckt sehr viel Arbeit und jedes Stück hat einen Hintergrund. Ich würde beides nicht verbinden. Damit würde ich meine Musik nur vereinfachen.

mikSes: Das ist der Idealismus, aber kommt Geld ins Spiel, kann das auch anders aussehen, oder?
M. N. Meryem: Ne, ich würde mich nicht verkaufen wollen, indem ich Musik mache, die allen gefällt, nur damit ich so Geld verdiene. Dafür ist mir meine Musik zu wichtig. Man studiert Musik nicht um Geld zu verdienen, sondern weil ein innerer Drang einen dazu treibt. Und
gerade Pianisten sind sehr ernsthaft und denken lange darüber nach, wie man zum Beispiel Beethoven spielt, wie man die Farbe auf dem Klavier erzeugen kann.

mikSes: Haben Sie Lieblingsstücke?
M. N. Akdenizli: Nein. Aber bestimmte Komponisten spiele ich sehr gern.

mikSes: Gibt es bestimmte Stücke, die Sie herausfordern, die Sie immer wieder üben und mit denen Sie trotzdem nie zufrieden
sind?
M. N. Akdenizli: Eigentlich nicht bzw. nicht mehr. Ich hatte mal so eine Erfahrung mit einer späten Klaviersonate von Beethoven gemacht, als ich noch jüngerwar. Wenn man jünger ist, dann fehlt einem manchmal die Reife für bestimmte Stücke. Die späte Sonate, die ich geübt hatte, entstand als er schon taub war. Als ich sie übte, das weiß ich noch, hab ich die Sonate angefangen und gespürt, sie muss auf eine bestimmte Art klingen. Ich konnte es aber nicht so spielen. Auch
wenn ich geübt habe. Dann hab ich es einfach sein lassen. Mir wurde klar, dass mir die Reife gefehlt hatte, als ich sie Jahre später noch einmal spielte. Denn dann hat es plötzlich geklappt. Jetzt spiele ich
sie wieder und habe das Gefühl, dass ich sie verstanden habe. Daraus habe ich gelernt, dass man für bestimmte Dinge etwas Lebenserfahrung braucht.

mikSes: Wo sehen Sie sich in der Zukunft?
M. N. Akdenizli: Auf jeden Fall möchte ich eine Pianistin für mich selbst sein und immer Konzerte geben können. In Paris habe ich eine Professorin, Livia Rev, die ist 90 Jahre alt und gibt immer noch Konzerte auf der ganzen Welt. Wenn ich mir vorstelle, ich bin 90 und kann immer
noch auf Konzerte spielen und junge Menschen unterrichten, dann hätte ich das glücklichste Leben.

mikSes: Frau Akdenizli, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ikbal Kılıç.
Fotos von Nazim Aliyev

Interview in Mikses,
Magazin für Interkulturelles 1|2007, Seite 76-81
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