Borkum: Meryem Natalie Akdenizli brillierte mit „Weltklassik am Klavier“
Von Ellen Ruhnau
BORKUM – Bereits bei ihrem ersten Auftritt im Rahmen der Reihe „Weltklassik am Klavier“ überraschte die junge, charismatische Pianistin Meryem Natalie Akdenizli, die ein klassisches Klavierstudium absolvierte und nationale und internationale Preisträgerin ist, am vergangenen Sonntag bei der Matinee in der Kulturinsel durch geistreiche Kommentare zu ihrem Programm und den Komponisten, deren Werke sie spielte. Voller Lebendigkeit fächerte sie dabei das Typische der Musikepochen stilsicher und sehr eindrucksvoll durch kenntnisreiche Formulierungsfolgen und Bedeutungsvarianten auf. Dann aber demonstrierte sie anhand von Notenbeispielen auf dem Flügel mit deutlicher Liebe zur Perfektion und zu Detailbetonungen ihre ganz individuelle Improvisationskunst und brillierte dabei mit kraftvollem Anschlag und ungemein farbigem, kontrastreichen Ton. Ihr phantasiereich geformtes Arpeggieren und viele gekonnte Verzierungen
ließen aufhorchen. Die insgesamt ebenso zarten, lyrisch betonten wie glutvollen Interpretationen mit dynamischen Höhepunkten bescherten dem beifallsfreudigem Publikum eine nachhaltige, wahre Sternstunde der Musik.
Durch ihre sensible Tonund Klangsprache gelang es der Künstlerin – dank der reichen und abwechslungsreichen Palette ihres Programms – die musikalischen Traditionen des Barock und des klassisch- romantischen Repertoires nicht nur lebendig zu halten, sondern die Wechsel in grandioser Weise darzustellen. Es war ausgezeichnet, wie sie sich äußerst feinsinnig, aber auch jugendlich emotional selbstverständlich in die Noten der Komponisten, doch insbesondere in deren Gedankenwelt und Seele vertiefte, um bei ihren Interpretationen die vielen Facetten einer Musik der Tiefe, der Nähe, der Intimität und des Geheimnisvollen klangintensiv zu beleuchten.
So wurde schon die berühmte Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903 von Johann Sebastian Bach unter ihren Händen ebenso empfindsam wie temperamentvoll, technisch präzise und zwingend sicher, musikalisch meisterlich pointiert und durchwirkt mit wohlverständlichen Artikulationen, zu einem höchst spannungsvollen Erlebnis. Die abwechslungsreichen Steigerungen der Ausdrucksemphasen und die Begleitfiguren sowie die manchmal erstaunlichen Tempi gaben diesem Bach einen geradezu „modernen“ Anstrich.
Bei der dreisätzigen Sonate Es-Dur Hob: XVI Nr: 52 von Joseph Haydn bewies die Pianistin erneut ihren erfinderischen Reichtum an Gestalterischem. Sie spielte absolut stilbewusst die harmonischen und vielfältigen Schattierungen von Anmut, Frohsinn, Ernst, Tiefsinn – und damit die ganze Fülle der eigenartigen, charakteristischen Schönheit dieser Sonate – ans Licht. Hoch konzentriert und vertieft, mit spielerischer Eleganz, wirkungsvollen Pedaleffekten und rhythmischen Details machte Meryem Natalie Akdenizli das Lento-Allegro con brio, a-Moll aus 12 Etüden op. 25 von Frédéric Chopin zu einem tief beeindruckenden Faszinosum. Souverän und sehr empfindsam füllte sie die lyrisch-elegischen Passagen mit zauberhaften Klangfarben und überflutete sie mit „harmonischen Wogen“.
Nicht weniger reizvoll, mit blendender Virtuosität, tonaler Eindeutigkeit, flimmerndenLäufen und glockenhaften Harmonien spielte die Künstlerin Maurice Ravels Gaspard de la Nuit, bevor sie ihre gebannten Zuhörer mit der von Franz Liszt brillant gesetzten Rhapsodie espagnole, Variationen über „Folies d’Espagna“ und „Jota aragonese“, angefüllt mit spannenden Bögen und stürmischen Klangmassen, zu einem hinreißenden Finale führte. Erneut mit allen technischen Disziplinen gefordert, ausdrucksstark und mühelos, mit großer, verströmender Geste, kristallisierte sie dabei das typisch spanische Kolorit, vor allem aber das spürbare Widerspiel menschlicher Leidenschaften des Komponisten heraus. Sie erreichte dabei eine faszinierende Klangfarben-Varietätund Schönheit, die das Publikum zu stürmischem, minutenlangen Applaus animierte. Strahlend und dankbar verbeugte sie sich, im Arm die ihr überreichte, apart gebundene Rose, und verabschiedete sich dann „ganz leise“ mit der wunderschönen Zugabe „Das Mädchen mit den flachsblonden Haaren“ von Claude Debussy. Man freut sich schon jetzt auf die angekündigte Wiederbegegnung mit der sympathischen Pianistin in der Reihe „Weltklassik am Klavier“ auf Borkum.
Rezension in der Borkumer Zeitung:
Freitag, 16. Juli 2010
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