Neuenkirchen. „In 80 Minuten durch die Musikepochen“ nannte Meryem Natalie Akdenizli ihren Klavierabend im Karl-Leisner-Haus. In ihrem Programm zwischen Barock und französischem Impressionismus bot sie für jede Epoche beliebte Standardwerke der Klavierliteratur – jeweils im obersten Schwierigkeitsgrad angesiedelt. Dazu gab sie detailgenaue Erklärungen zu den Werken, die den Zuhörer möglichst noch unterhalb eines vermuteten Wissensstands abholen sollten.
So wurde dem Publikum der Zugang zu den Werken leicht gemacht – und die sympathische türkischstämmige Künstlerin mit der hier ungewohnten schwäbischen Mundart spielte und redete sich in die Herzen ihrer Zuhörer.
Bereits als Jugendliche war Akdenizli Bundessiegerin bei „Jugend musiziert“ geworden, nach dem sich anschließenden Vollstudium zeigte sie sich hier als vollendete Konzertpianistin mit famoser Technik und starkem Gestaltungswillen. Dass sie durch die ausgiebige Moderation einen Teil der eigenen inneren Sammlung und Konzentration auf das jeweils folgende Stück preisgab, machte den musikalischen Vortrag dabei nicht einfacher.
Den aufwühlenden Charakter der Chromatischen Fantasie und Fuge d-Moll von J. S. Bach unterstrich sie in ihrer Darstellung wild auffahrender Läufe und wirkungsvollen Auszierungen bei ursprünglich einfach notierten Akkorden. Den Recitativ-Teil spielte sie mit dem Ausdruck stark sprechender Gebärde und das Fugen-Thema wurde in betont voneinander abgesetzter Tonfolge gespielt, das somit leicht heraushörbar wurde. Während dieser vielversprechenden Darstellung verhedderte sie sich im Stimmengeflecht und formte, als es keinen Ausweg mehr gab, die Contenance wahrend einen abgerundet wirkenden Schluss.
Mit großer Darstellungskraft spielte sie Joseph Haydns letzte Klaviersonate Es-Dur. Die Tempi der Ecksätze waren mutig gewählt und sie bewältigte diese äußerst souverän. Mit starken Akzenten unterstrich sie das lebhafte Temperament dieser Musik und erreichte eine mitreißende Gesamtwirkung, die einen Vergleich mit den Einspielungen der großen Namen nicht zu scheuen braucht. Ebenso überzeugte ihr Spiel des ruhigen Mittelsatzes, der dessen ganze Schönheit herausstellte. Frederic Chopins 11. Etüde aus op. 25 war in ihrem Spiel auf höchste Kontrastwirkung getrimmt. Nach extrem langsamem Tempo der marschähnlichen Einleitung folgte umso rascher der Hauptteil mit der Umspielung mit Sechzehntel-Triolen, die jene be-kannte sturmheulende Klangwirkung hatten.
Nach der Pause spielte Meryem Natalie Akdenizli von Maurice Ravel „Ondine“ aus „Gaspard de la Nuit“. Hier erschien das Thema der Meerjungfrau in umströmende Wasserkaskaden in klaviertechnisch größter Schwierigkeit, um die verstiegene Romantik in der Dichtung von Aloysius Bertrand in eine klangliche Entsprechung zu bringen. Hier erreichte Akdenizli ein Optimum an Stimmigkeit und klanglicher Delikatesse in der Realisation.
Franz Liszts Rhapsodie espagnole war dann wieder der Klaviervirtuosität der Romantik verpflichtet. Basierend auf das meistvariierte Thema der Musikgeschichte „La Folia“ und einer seinerzeit sehr beliebten „Jota aragonese“ wurde hier spanisches Kolorit in einem gefälligen Salonstil geboten. Hier zeigte die Interpretin aufs Neue ihr immenses Können angesichts der dort verlangten Höchstschwierigkeiten und erzielte dabei noch eine bewundernswert klare Darstellung.
Für den jubelnden Beifall spielte sie als Zugabe noch von Claude Debussy das stimmungsvolle Prélude „Das Mädchen mit den flachsblonden Haaren“. Nicht nur die Interpretin überzeugte, auch der neue Flügel mittlerer Güte gefiel in seiner klaren Tongebung in der gewinnenden Umgebung im Karl-Leisner-Haus.
VON ROBERT MITSCHKE
16.11.2009 Ahlener Zeitung
Zum Volltextartikel